Mensch und Natur, Verbündete, Gefährten, Familie und Endgegner.
Der Mensch ist Natur, dennoch sucht er sie zu beherrschen, in und außerhalb des eigenen Körpers. Zeugnis dessen ist im Jahre 2022 der Blaue Planet selbst. Das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte könnte bereits begonnen haben. Die Polarkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt und das Wasser versauert. Zwischen den zerfallenden Eisschollen der Arktis versuchen Tiere unkompromittierten Boden unter die Füße zu bekommen, während in Plastik gehüllte Großstädter im Herzen Europas von Hitzewellen und SUV-Abgasen dahingerafft werden.
Klimaproteste, Greenwashing, Fracking-Deals und Airbnb-Urlaub im Brandenburger Tiny-Home als Weg aus der Depression – alles riecht nach synthetischer Tanne.
Die Albträume des Anthropozän knabbern sich von innen nach außen, von außen nach innen, und hinterlassen Phantomschmerzen, die zu kratzen eines Heraussteigens aus der eigenen Haut bedarf.
Die Last derer, die sich mit den Mitteln der Kunst der vergeblichen Aufgabe annehmen, in der trägen menschlichen Masse ein Aufbegehren anzustoßen, eine monumentale Rückeroberung der Zügel, welche die Industrie zurück in ihren Orbit zu leiten vermögen – diese Last ist beträchtlich. Aber Kunst ist Kunst, Erwartungen weder unterminiert, nichts muss, alles ist möglich. Und so erheben sich unermüdlich Arbeiten aus dem Morast der Klima-Depression, die versuchen die eigene Linse zu entspiegeln und den Blick des Rezipierenden zu klären. Post-Anthropozentrismus als Empathie-Generator, Experimente der Interspezies-Kommunikation wecken Hoffnung auf Interspezies-Kooperation.
Werden Mensch und Welt, Kultur und Natur ihrer Dichotomie enthoben, vom Ballast des ewig Oppositionellen befreit und im Kontinuum gedacht, so entstehen neue Bilder, Gleitzonen der symbiotischen Lebensrealisation.
Neue Forschungsfelder wie die Nanobiotechnologie und die Pflanzeneurobiologie erweitern die Grenzen des Berührbaren, des Vorstellbaren. Der Posthumanismus geht der Frage nach was hinter dem Menschen liegt, was dort beginnt wo er endet, ob er überhaupt endet oder nahtlos übergeht, in das Nicht-Menschliche. Diese Gedanken führen nicht selten in konträr anmutende Richtungen, die am Ende doch wieder beieinander ankommen, nämlich zur Beschäftigung mit dem Nicht-Menschlich-Pflanzlichen und -Tierischen, und dem Nicht-Menschlich-Technologischen.
Können neue Erkenntnisse über die Sinneswahrnehmung anderer Spezies unser eigenes Weltbild aktualisieren? Welche Rolle spielt die technologisch-gestützte Erweiterung des eigenen Körpers dabei? Gibt es Intelligenz ohne Gehirn, pflanzlicher oder gar künstlicher Natur? Kann diese – vielleicht künstliche vielleicht Intelligenz – auch künstlerisch tätig werden? Die Weltrettung ist ein interdisziplinäres Projekt, die Welterweckung jedoch, kann jede/r Einzelne wagen, wenn er oder sie sich für den Rhythmus des Anderen sensibilisieren lässt, sich dem Experiment der Umwelterweiterung hingibt, sich durch das Labyrinth der Sinne von sich selbst wegleiten lässt,
um den eigenen Schatten zu jagen.
– von: Juliane Rohrwacher