Umweltentwirrung

Mensch und Natur, Verbündete, Gefährten, Familie und Endgegner.

Der Mensch ist Natur, dennoch sucht er sie zu beherrschen, in und außerhalb des eigenen Körpers. Zeugnis dessen ist im Jahre 2022 der Blaue Planet selbst. Das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte könnte bereits begonnen haben. Die Polarkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt und das Wasser versauert. Zwischen den zerfallenden Eisschollen der Arktis versuchen Tiere unkompromittierten Boden unter die Füße zu bekommen, während in Plastik gehüllte Großstädter im Herzen Europas von Hitzewellen und SUV-Abgasen dahingerafft werden.

Klimaproteste, Greenwashing, Fracking-Deals und Airbnb-Urlaub im Brandenburger Tiny-Home als Weg aus der Depression – alles riecht nach synthetischer Tanne.

Die Albträume des Anthropozän knabbern sich von innen nach außen, von außen nach innen, und hinterlassen Phantomschmerzen, die zu kratzen eines Heraussteigens aus der eigenen Haut bedarf.

Die Last derer, die sich mit den Mitteln der Kunst der vergeblichen Aufgabe annehmen, in der trägen menschlichen Masse ein Aufbegehren anzustoßen, eine monumentale Rückeroberung der Zügel, welche die Industrie zurück in ihren Orbit zu leiten vermögen – diese Last ist beträchtlich. Aber Kunst ist Kunst, Erwartungen weder unterminiert, nichts muss, alles ist möglich. Und so erheben sich unermüdlich Arbeiten aus dem Morast der Klima-Depression, die versuchen die eigene Linse zu entspiegeln und den Blick des Rezipierenden zu klären. Post-Anthropozentrismus als Empathie-Generator, Experimente der Interspezies-Kommunikation wecken Hoffnung auf Interspezies-Kooperation.

Werden Mensch und Welt, Kultur und Natur ihrer Dichotomie enthoben, vom Ballast des ewig Oppositionellen befreit und im Kontinuum gedacht, so entstehen neue Bilder, Gleitzonen der symbiotischen Lebensrealisation.

Tomás Saraceno ON AIR, solo exhibition at Palais de Tokyo, Paris, 2018, curated by Rebecca Lamarche-Vadel. Courtesy the artist; Andersen’s, Copenhagen; Esther Schipper, Berlin; Pinksummer Contemporary Art, Genoa; Ruth Benzacar, Buenos Aires; Tanya Bonakdar Gallery, New York. ©Photography Studio Tomás Saraceno, 2018.
Tomás Saraceno ON AIR, solo exhibition at Palais de Tokyo, Paris, 2018, curated by Rebecca Lamarche-Vadel. Courtesy the artist; Andersen’s, Copenhagen; Esther Schipper, Berlin; Pinksummer Contemporary Art, Genoa; Ruth Benzacar, Buenos Aires; Tanya Bonakdar Gallery, New York. ©Photography Studio Tomás Saraceno, 2018.

Neue Forschungsfelder wie die Nanobiotechnologie und die Pflanzeneurobiologie erweitern die Grenzen des Berührbaren, des Vorstellbaren. Der Posthumanismus geht der Frage nach was hinter dem Menschen liegt, was dort beginnt wo er endet, ob er überhaupt endet oder nahtlos übergeht, in das Nicht-Menschliche. Diese Gedanken führen nicht selten in konträr anmutende Richtungen, die am Ende doch wieder beieinander ankommen, nämlich zur Beschäftigung mit dem Nicht-Menschlich-Pflanzlichen und -Tierischen, und dem Nicht-Menschlich-Technologischen.

Können neue Erkenntnisse über die Sinneswahrnehmung anderer Spezies unser eigenes Weltbild aktualisieren? Welche Rolle spielt die technologisch-gestützte Erweiterung des eigenen Körpers dabei? Gibt es Intelligenz ohne Gehirn, pflanzlicher oder gar künstlicher Natur? Kann diese – vielleicht künstliche vielleicht Intelligenz – auch künstlerisch tätig werden? Die Weltrettung ist ein interdisziplinäres Projekt, die Welterweckung jedoch, kann jede/r Einzelne wagen, wenn er oder sie sich für den Rhythmus des Anderen sensibilisieren lässt, sich dem Experiment der Umwelterweiterung hingibt, sich durch das Labyrinth der Sinne von sich selbst wegleiten lässt,

um den eigenen Schatten zu jagen.

– von: Juliane Rohrwacher

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Kunst, Um Welten zu erweitern

Willkommen im Techno-Forest!

Uns interessiert post-anthropozentrische Klimakunst, zwischen neuen Technologie und alten Naturtechniken.

Als ich 5 Jahre alt war habe ich einen besonders harten Winter damit verbracht vertrockneten Gräsern in unserem Hinterhof Schals umzubinden.

Das war ziemlich blödsinnig aber beschreibt ganz gut das Dilemma der Stadtkinder, die sich der Natur zugehörig fühlen, aber oft wenig Raum zum Lernen, Experimentieren und Koexistieren mit dem Nicht-Menschlichen haben. Bevor der letzte Tropfen Wasser von Batteriefabriken aus dem Boden gesaugt wurde, sollten wir uns genauer ansehen was wir verlieren. Gerade in der Kunstwelt gibt es immer mehr spannende Ansätze technologisch vermittelte Naturerfahrungen zu schaffen, die Empathie für die komplexe Realität des nicht-menschlichen Lebens generieren, das der Pflanzen, der Pilze, der Tiere – der Welt die für alle anders anmutet und doch geteilt wird.

Auf diesem Blog möchte ich einige dieser Projekte zusammentragen. Musik, Kunst, Literatur, Architektur, Gaming – ich bin überall unterwegs wo sich neue Orte der Interspezies-Begegnung auftun, vom urbanen Techno-Forest bis zum pflanzengenerierten Schlaflied.

Juliane Rohrwacher in front of an insect hotel in the woods.

Ich bin Musikerin und promoviere gerade im Bereich Theaterwissenschaft, eigentlich komme ich aber aus der anglistischen Literaturwissenschaft. Ein anthropologisches Grundinteresse ist wahrscheinlich das Einzige was alle Eckpunkte meines akademischen Werdegangs miteinander verbindet. Das ist aber auch in Ordnung so, Chaos gebärt das Universum und wir stehen vor einem gewaltigen, chaotischen Problem: Wie weiter mit dem Anthropozän?

Umwelten und Wahrnehmung

Das Umweltkonzept von Jakob von Uexküll (schwieriger Mann, dennoch relevantes Konzept) eröffnet Möglichkeiten den Menschen für sich selbst wieder erfahrbar zu machen, in einem Netzwerk des Lebens, eines welchen sich dieser im Anthropozän zu entledigen suchte.

Die Umwelt eines Lebewesens beschreibt demnach die Welt, welche dessen Wahrnehmung erzeugt. Der Mensch lebt in einer anderen Umwelt als die Fledermaus, dennoch kommt es zu Überschneidungen. Alles Leben verfügt über diese Art der Überschneidungen und Divergenzen im Umwelterlebnis. Welche Chancen für die Bildung neuer Interspezies-Gemeinschaften ergeben sich durch eine kunstvermittelte Erweiterung der Umwelten?

Die Natur der Kultur

Begleitet mich gerne auf meinen Reisen durch diese KunstUmWelten, wo Kultur sich zu renaturieren sucht. Wir blicken in die Geschichte der Pflanzenwahrnehmung, die Gegenwart post-anthropozentrischer Kunstexperimente und die Zukunft der urbanen Realitäten.

See you on the other side!

Juliane Rohrwacher

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